Das Urhaus, ein hallenförmiges Eindach- und Einfirsthaus, besaß eine erdgleiche, offene Feuerstelle, die sich frei im Haus befand. Die Feuerstelle bildete den Lebensmittelpunkt, sie spendete Wärme und Licht. Der vom offenen Feuer aufsteigende Rauch erwies der Unterkunft ihren Nutzen. Der im Rauch enthaltene hohe Kreosotgehalt steigerte die Widerstandskraft gegen Funkenflug und Feuer. Der Rauch konservierte und trocknete die Bretter, Balken und das Reet. Er härtete das Holz, schützte es gegen Schädlingsbefall, hielt Insekten fern, trocknete die Ernte und räucherte Fisch und Fleisch. Der Rauch zog durch die Ritzen der Wände und durch ein Loch an der Giebelspitze (heute Eulenloch) ab. Natürlich bot das Rauchhaus nicht nur Vorteile: Geschwärzter Hausrat, tränende Augen, Atembeschwerden zählten ebenso zu den Nachteilen wie das Herabtropfen des Rußes bei regenfeuchter Luft oder starker Sonnenwärme.
Die Konstruktion der Dächer war einfach. Rundhölzer dienten als Sparren, Äste und Knüppel als Lattung. Mit Flechtruten wurde das Reet mit der Unterkonstruktion verbunden. Wände wurden aus Flechtwerk, Fachwerk oder Lehm gebaut.
Die Metallgewinnung und Weiterentwicklung der Metallurgie beeinflusste auch die Bauweise der Häuser. In der Eisenzeit (500 v. Chr. – Christi Geburt) wurden durch Nägel, Bolzen, Reife und Beschläge im Holzbau neue Verbindungen geschaffen, die dem bewährten Reetdach neue Hausgerüste und Unterkonstruktionen verschafften. Durch die neuen Möglichkeiten der Konstruktion konnte das Einraumhaus in Wohnteil und Stall unterteilt und vergrößert werden. Die Größe und Raumaufteilung eines Hauses hingen dabei wesentlich von der Größe des Viehbestandes und vom Klima ab. Beides wirkte sich auf Erntemenge und die benötigten Vorräte aus.
Im Mittelalter (500 – 1000 n. Chr.) entstanden und wuchsen zahlreiche Städte und wurden zu wirtschaftlichen, politischen und religiösen Mittelpunkten. Durch den Anstieg der Bevölkerungsdichte stieg auch der Bedarf an Nahrungsmitteln, dies wirkte sich wesentlich auf den Hausbau aus. Es kam zu einer dichteren und mehrgeschossigen Bebauung, da der begrenzte Raum innerhalb der Stadtmauern optimal genutzt werden musste. Die verschiedenen Bevölkerungsschichten entwickelten verschiedene Bauweisen, die deren Bedürfnissen entsprachen. Rathäuser, Klöster, Kirchen und die Häuser Wohlhabender wurden aus Back- oder Bruchsteinen hergestellt, Bauernhäuser aus Holz, Lehm und Reet. Brach in der Stadt ein Feuer aus, sprang dies von Haus zu Haus und richtete oft verheerende Schäden an. In städtischen Gebieten wurden im Laufe der Zeit die Holzhäuser mit Reetdach durch Steinbauwerke mit harter Bedachung ersetzt. Dieser Prozess dauerte allerdings sehr lange. Die Stadt Flensburg z.B. verabschiedete im Jahr 1388 eine Rechtssatzung mit der Forderung, alle Neubauten mit Steindächern zu versehen. Erst 1770 verschwand das letzte Weichdach der Stadt. Auf dem Land behielt das Reetdach jedoch seine Bedeutung bei.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich Reet als Material für die Dacheindeckung aufgrund seiner einzigartigen
Eigenschaften seit 6000 Jahren vor allem auf dem Lande bewährt hat.
Die Geschichte der Reetdachdecker
Das Decken eines Reetdaches war bis zum Mittelalter die Aufgabe des Hausbesitzers, d. h. der erste sesshafte Germane war auch der erste Reetdachdecker. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Handwerk des
Reetdachdeckers zum Anhängsel der Landwirtschaft. Jeder Bauer konnte sein Dach decken und reparieren. Im Mittelalter fand in den Städten eine Spezialisierung der Handwerker statt, so dass der Beruf des Reetdachdeckers entstehen konnte. Mit dem Verschwinden der Reetdächer aus den Städten verlor auch der Beruf des Reetdachdeckers in den Städten an Bedeutung. Hieraus lässt sich erklären, dass das Reetdachdecken nur als Teilhandwerk des Dachdeckerhandwerks angesehen wurde. Erst am 01.09.1946 wurden vier Innungen des Strohdachdeckerhandwerks gegründet, die 1970 in „Reetdachdecker-Innungen“ umbenannt wurden.